Wie werden Söhne zu Feministen?

Wie werden Söhne zu Feministen?
Foto: Neda Rajabi
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  • Veröffentlicht: 19.02.2024
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Ein Interview mit der Journalistin und Feministin Shila Behjat über ihr neues Buch und was es in dieser Welt bedeutet, Feministin und zugleich Mutter zweier Söhne zu sein.

Wie kommt es, dass es sich für Sie anfangs wie ein Widerspruch angefühlt hat, Feministin und zugleich Mutter zweier Söhne zu sein?

Wer, wenn nicht Männer sind für Feministinnen das Problem? Mein Leben als Frau ist allein deshalb unsicherer und unfreier, weil es Männer gibt. Und nun lebe ich tagtäglich mit zwei künftigen Männern zusammen. Als Mutter wiederum sehe ich in meinen Kindern ja nicht per se „den Mann“, sondern nehme sie als Individuen wahr. Da empfinde ich reflexartige Unterstellungen allein deshalb, weil sie Jungs sind, als sehr ungerecht. Zum Beispiel, dass Jungs alles kaputt machen, gewalttätig sind, laut sind und so weiter. Das sind Vorbehalte, die ich allerdings zu Beginn selbst gegen sie hegte. So dachte ich erst einmal, dass meine Aufgabe als feministische Mutter vor allem darin bestehe, zu verhindern, dass sie solche Männer, sprich: Arschlöcher werden. Dabei sind es ja genau solche pauschalen Vorverurteilungen gegenüber Frauen, die ich als Feministin bekämpfe. Es ist nicht gerecht und alles andere als glaubwürdig, wenn wir sie anderen entgegenbringen.

„Wenn wir davon ausgehen, dass Jungs halt ,so sind‘, dann ist das zunächst einfach ungerecht. Aber es bedeutet auch, dass wir keinerlei Erwartungen an sie haben.“

Sie halten den oft gehörten entschuldigenden Spruch „So sind Jungs eben“ für gefährlich. Warum?

Weil aus dieser Unterstellung irgendwann eine Entlastung wird. Und das ist mir ganz wichtig: Wenn wir davon ausgehen, dass Jungs halt „so sind“, dann ist das zunächst einfach ungerecht. Aber es bedeutet auch, dass wir keinerlei Erwartungen an sie haben. Wir müssen aber den höchsten Anspruch an sie stellen, was Empathie, Gerechtigkeits- und Gemeinschaftssinn angeht. Das beginnt damit, dass wir es ihnen zutrauen – aber es vor allem von ihnen erwarten.

Wenn Jungs nicht „so“ sind: Wie sind sie dann?

Individuell. So, wie wir es inzwischen für Mädchen mehr und mehr erkämpfen.

Ihre Söhne, schreiben Sie, „verkörpern von ihrem Potenzial her genau das, dem ich mich im Leben immer wieder entgegenzustellen hatte“. Wie löst man diesen Konflikt im alltäglichen Umgang? 

Das ist etwas, womit ich im ganzen Buch wie eine Wrestlerin ringe, nämlich nicht das in ihnen zu sehen, was ich eigentlich bekämpfe. Wenn sie mir etwas erklären, nicht sofort zu denken: Mansplaining! Da sie die nächste Generation darstellen und mit Mädchen groß werden, die noch so viel mehr erreichen, als es unsere Generation getan hat, frage ich mich immer: Wie zeige ich ihnen, was es ausmacht, in einem weiblichen Zeitalter zu leben? Das hilft mir als Vision ungemein.

„Männer müssen unsere Verbündeten in diesem Kampf um Gleichstellung werden, das ist viel, viel mehr als heute, wo sie eben weniger im Weg stehen als früher.“

Wie werden denn Männer zu Feministen? 

Das ist eine gute Frage. Ich denke, das muss eindeutig besser laufen als bisher. Am „Tag gegen Gewalt an Frauen“ schreiben vor allem Frauen darüber. Warum? Warum ist das Ende männlicher Gewalt nicht ein Anliegen für alle? Männliche Gewalt, von der eben auch Männer stark bedroht sind, stärker sogar als Frauen. Männer müssen unsere Verbündeten in diesem Kampf um Gleichstellung werden, das ist viel, viel mehr als heute, wo sie eben weniger im Weg stehen als früher. Wie gewinnen wir Männer dafür? Nun ja, indem wir es auch zu ihrem Kampf machen. Jeder Mensch will frei, gleich und selbstbestimmt leben. Wir müssen meiner Ansicht nach viel mehr klarmachen, welche Werte wir verteidigen und nicht welche individuellen Rechte.

Sie zitieren die Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, die es als größte Aufgabe des Feminismus betrachtet, „Platz für Männer darin zu machen“, denn „sonst gelangen wir nirgendwohin“. Worauf zielt das ab?  

Wir sind schon so weit gekommen als Frauen. Aber dann wiederum dauert es so lang. Und schauen wir doch global! Frauenrechte sind in Ländern wie Afghanistan sogar wieder mehr bedroht. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mehr werden in diesem Kampf. Und das geht nur, wenn wir nicht pauschal verurteilen und davon ausgehen, dass die Männer es sowieso nicht kapieren. Das ist leider sehr ähnlich dem, wie der inzwischen so identifizierte weiße Feminismus Frauen wie mir, die als nicht weiß gelesen werden, unsere Lebenserfahrungen abgesprochen hat. Wir können auch für das Ganze stehen. Für den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung. Und dann betraten die Frauen im Iran die Bühne und zeigten der Welt, wie das geht. Und wie man übrigens die Männer an die eigene Seite bekommt, Männer, die ebenfalls skandieren: „Frau, Leben, Freiheit!“

Mädchen, argumentieren Sie, agierten heute aus einer Position der Stärke, der Selbstbestimmtheit und stetigen Ermunterung, während Jungs sich in einem Dickicht an widersprüchlichen Botschaften verheddern. Welche Botschaften erhalten sie?  

Ich schreibe und spreche vor dieser Überzeugung, dass wir in dieses weibliche Zeitalter eingetreten sind, in dem es wirklich darum geht, abzustecken, wie das nun eigentlich funktionieren soll, wenn der Feminismus demnächst erfolgreich sein wird. Ich bin entflammte und begeisterte Feministin und überzeugt, dass in dieser Idee die Lösung liegt, sowohl, was die Unterdrückung von Frauen als auch was die Ausbeutung unseres Planeten betrifft. Das ist für mich eine drängende Frage, weil die Antwort darauf aus der Perspektive der Zukunft betrachtet bestimmt, wie wir heute mit dem umgehen, was das Problem ist. Und das ist nun einmal die weiß-männliche Dominanz. Und nun zur Botschaft für meine Jungs: Aus der Beobachtung, dass wir keine Antwort gefunden haben, wie es in Zukunft aussehen soll, kommt dieses Wirrwarr für meine männlichen, weißen Kinder. Sie sollen nur nicht. Nicht dominieren. Nicht das Wort ergreifen. Nicht die Ersten sein. Sie sind einfach nicht dran. Und gleichzeitig dreht die Welt sich aber genauso weiter, eine Welt, in der es brutal um Wettbewerb geht. Von einer Mutter von Söhnen zu erwarten, dass sie einfach nur sagt: „Na gut, sie sind eben nicht dran.“ Das macht einfach keine.

Sie schreiben: „Durch meine Empörung hindurch, die ich über die pauschale Verurteilung meiner beiden Söhne empfinde, erkenne ich, wie kollektiv das Trauma mit Männern und vor allem mit männlicher Kraftausübung und Raumnahme, kurzum mit männlicher Dominanz in uns allen sitzt.“ Es stimmt: Frauen lernen, in der Antizipation männlicher Gewalt zu leben. Sie wechseln sicherheitshalber die Straßenseite, wenn eine Gruppe Männer auf sie zukommt. Zu Unrecht? 

Nein! Und das ist das Dilemma. Ich wechsle auch die Straßenseite. Und muss trotzdem einfordern können, dass meine Söhne nicht pauschal als Gewalttäter gesehen werden.

„Wer Mädchen davor schützen will, sexuell ausgebeutet, angegriffen und verletzt zu werden, der muss Jungs davon abhalten, dies zu tun.“ Wie macht man das? Wie machen Sie das bei Ihren Söhnen? 

Ich würde tatsächlich sagen, dass es dieses erwähnte Zutrauen ist und die Erwartungshaltung. Du bist friedlich. Und liebevoll. Und hilfsbereit. Und nicht: Sei bloß nicht gewalttätig!

Eine abschließende Frage: Die Verantwortung von Vätern in der Erziehung von Söhnen spielt in Ihrem Buch erstaunlich wenig Rolle. Wieso? 

Da ist der Untertitel meines Buches wirklich ernst zu nehmen: Ich habe mich dazu entschlossen, in ein Streitgespräch mit mir selbst zu gehen und die Verantwortung bei mir zu suchen. Das ist eine beinahe antifeministische Haltung, ich weiß, aber viel zu oft verfallen wir reflexartig in einen Fingerzeig auf andere: Der ist schuld und das System und, und, und. Es geht mir auch nicht darum, die Schuld bei mir zu suchen. Sowohl Männer als auch das System bekommen in diesem Buch ihr Fett ab. Ich war jedoch auf der Suche nach einer eigenen, vor allem inneren Kohärenz, aus der ich dann wieder im Äußeren wirken konnte, als Feministin und als Mutter meiner Söhne. Das empfinde ich als höchst persönliche Reise. Da muss jede selber durch – und jeder.

Zu Buch und Person:

Shila Behjat,

Jahrgang 1982, ist Journalistin, Publizistin und Moderatorin mit deutsch-iranischen Wurzeln. Sie studierte Jus in Hamburg und Paris, war Korrespondentin in London, lebte als Journalistin in Indien und berichtete für das Frauenportal Aufeminin.com über Gleichstellung in der EU. Als Kulturredakteurin bei ARTE verantwortet sie nun Dokumentationen und neue Formate. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. Dieser Tage ist ihr neues Buch erschienen:

Shila Behjat. Söhne großziehen als Feministin. Ein Streitgespräch mit mir selbst. Hanser 2024. 200 S., € 23,70

Tipp der Autorin:

Welche guten Bücher würden Sie für die Erziehung von Söhnen empfehlen?  

Auch wenn ich im Buch damit hadere, weil es sehr stark noch in einer heteronormativen Vorstellung gefangen ist, würde ich „Raising boys in the 21st century“ von Steve Biddulph empfehlen. Dazu JJ Bola „Sei kein Mann“ und Justin Baldonis „Man enough“.

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