Es ist doch nur ein Busen!

Es ist doch nur ein Busen!
Foto: Canva
  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 16.05.2023
  • Drucken

Aufregend, anregend, Sinnbild für Fruchtbarkeit, Objekt der Begierde: Über kaum ein Organ wird so viel geredet, über kaum eines so viel gerichtet. Betrachtungen zur weiblichen Brust.

Brüste, Balkon, Titten, Töpfe, Holz vor der Hütte oder Vorbau – kaum ein menschlicher Körperteil hat mehr Synonyme zu verzeichnen. Nur wenige sind so elegant wie der Begriff Dekolleté, die meisten sind schroff, ungelenk oder gar beleidigend. Dabei gilt der Busen als der am weiblichsten konnotierte Körperteil, ja, er repräsentiert sogar den Grad der Weiblichkeit, wenn man Hochglanzmagazinen, Werbungen für Schönheitsoperationen oder dem Marketing vieler Unterwäschehersteller Glauben schenken will.

„Brüste sind verrucht und erotisch, nährend und lebenserhaltend, sie bieten Männern wie Frauen optische Reize, werden in sozialen Medien samt ihrer Brustwarzen gezeigt – solange sie auf einem Männerkörper thronen.“

Brüste sind verrucht und erotisch, nährend und lebenserhaltend, sie bieten Männern wie Frauen optische Reize, werden in sozialen Medien samt ihrer Brustwarzen gezeigt – solange sie auf einem Männerkörper thronen. Sie müssen aber verpixelt werden, wenn sie einer Frau gehören. Ja, sogar die Löschung der Bilder oder die Sperre eines Seitenprofils kann anstehen, wenn man es wagt, eine weibliche Brust offen zu zeigen, während sexistische, beleidigende oder rechtlich unerlaubte Kommentare auf Facebook, Instagram und Co. in den meisten Fällen unbestraft bleiben.

Säuglinge ahnen noch nichts vom Aufregerpotenzial, wenn sie kurz nach der Geburt zum ersten Mal an einer Brust saugen. Die Natur hat dem Kind den Saugreflex gegeben und der frischgebackenen Mutter die dazugehörigen Drüsen, die das nährende Lebenselixier spenden können. Bewusst sehen viele Kinder erst viel später die scheinbar perfekte Brust, wenn sie zum ersten Mal einer Barbiepuppe beim Spiel begegnen. In idealer Symmetrie prangen die Brüste an einem ebenso ideal proportionierten Körper, der dem echten Leben niemals nahe kommt. Wir speichern ab, dass Gleichheit, Symmetrie, eine gewisse Größe und Fülle Perfektion bedeuten.

„Die Puppe lässt uns von Kindheitstagen an glauben, Brüste müssten identisch sein.“

Gleich große Brüste? Von wegen!

Die Puppe lässt uns von Kindheitstagen an glauben, Brüste müssten identisch sein. Doch die vermeintlich eineiigen Zwillinge sind in Wahrheit eher zweieiige. In einer Studie, veröffentlicht im englischen „International Journal of Clothing Science and Technology“, wird anhand von Zahlen belegt, dass kaum eine Probandin der Untersuchung wirklich gleich große Brüste hat.

Diese Tatsache im Kontrast zu medial omnipräsenten Bildern idealer Körper erzeugt bei vielen Frauen eine hohe Unzufriedenheit mit ihrem Busen. Ein internationales Forscherteam beschreibt im Fachmagazin „Body Image“ sogar, dass nur jede dritte Frau mit ihrem Busen zufrieden sei, 23 Prozent wünschten sich eine kleinere Brust, 48 Prozent eine größere. Für diese Untersuchung wurden 18.500 Frauen in 40 Ländern befragt. Wenig überraschend also, dass alleine unter den jährlich rund 40.000 Schönheitsoperationen in Österreich nach den Fettabsaugungen schon auf Platz zwei die Brustvergrößerungen zu finden sind. Ab 5.000 Euro kostet solch ein Eingriff, der – so liest man es auf den Webseiten der großteils männlichen Schönheitschirurgen – zu mehr weiblichem Selbstbewusstsein führe. Medizinische Nebenwirkungen oder Gefahren werden verharmlost, die Operation selbst mittlerweile als Routineeingriff bezeichnet.

Brüste überall

Der Busen, der übrigens bei allen Menschen noch vor der Festlegung des Geschlechts biologisch angelegt ist, ist aus der Öffentlichkeit nicht wegzudenken: Die frühesten Darstellungen der weiblichen Brust stammen aus der Altsteinzeit – denken wir nur an die Venus von Willendorf. Antike Fresken und kretische Kunstwerke zeigen Frauen zwar mit bodenlangen Röcken, doch entblößter Brust. Die nackte Aphrodite von Knidos, eine römische Marmorkopie des griechischen Originals von Praxiteles (rund 300 vor Christus), darf sogar in den Vatikanischen Museen ihre Brüste zeigen, während man die stillende Mutter Gottes, Maria lactans, auf dem Konzil von Trient (1545–1563) abschaffen wollte, um die Gläubigen nicht vom Gebet abzulenken. Danach folgten Maler wie Tizian, Rubens oder Eugene Dalcroix, die sich künstlerisch der Brust widmeten. Egon Schieles berühmte Akte, die eine rohe Sexualität verkörpern, wurden sogar der Pornografie bezichtigt.

„„Busen“ in Suchmaschinen eingegeben, führt zuallererst zu Angeboten von Schönheitschirurgen, in sozialen Medien finden sich gar Hashtags wie #busenpapst unter den Bildern einer Brustvergrößerung. Abgeklebte Brustwarzen verhindern die Sperre dieser Seiten.“

Busen, ja – Brustwarzen, nein

Heute ist die Brust allgegenwärtig: Sie ist in tatsächlich pornografischen Filmen – zugänglich für Menschen jeden Alters – im World Wide Web zu finden. „Busen“ in Suchmaschinen eingegeben, führt zuallererst zu Angeboten von Schönheitschirurgen, in sozialen Medien finden sich gar Hashtags wie #busenpapst unter den Bildern einer Brustvergrößerung. Abgeklebte Brustwarzen verhindern die Sperre dieser Seiten. Dagegen scheinen die Bilder der Nackten in Tageszeitungen, die Werbungen der Unterwäscheproduzenten oder Hollywoodfilme mit Nacktszenen wie Kinderkram.

Dennoch sorgt es für mediale Aufmerksamkeit und sogar einen „Shitstorm“ (massenweise Beschwerden in sozialen Medien), wenn berühmte oder bekannte Frauen, zuletzt Mavie Hörbiger aus dem gleichnamigen Schauspieler-Clan, BH-frei zu einem Interview erscheinen. In ihrem Fall führten die heftigen Reaktionen auf ihre durchs Oberteil blitzenden Brustwarzen sogar dazu, dass die junge Frau sozialen Medien mit einem letzten Twitter-Satz den Rücken kehrte: „Wenn du meine Nippel durch das Shirt siehst, dann, weil ich ein Mensch bin und welche habe. Ihr müsst mich nicht drauf hinweisen. Ich kenne meinen Körper.“

„Doch was ist feministischer? Sich die Freiheit zu nehmen, keinen BH mehr zu tragen, und im Fall der Fälle auch damit zu provozieren? Oder sich die Brust vom Operateur so trimmen zu lassen, dass sich persönliche Zufriedenheit einstellt?“

Andere Regeln für weibliche Brüste

Weibliche Brüste erregen anscheinend, seit sie sind. Sie erregen unsere Aufmerksamkeit, sie erregen die Gemüter, sie erregen im sexuellen Kontext und regen allemal zu Gesprächsstoff an. Sie sollen deutliches Werbemittel sein, um Pornografie, Unterwäsche, Filme oder Erotik zu propagieren. Für den Rest unserer Lebensrealitäten gilt: Die Brüste einer Frau haben sich einer Verhaltensordnung zu unterwerfen. Sie müssen bedeckt, der Ausschnitt darf niemals zu viel und der Umfang nicht zu klein sein. Brüste sollen nicht verlocken, nicht einladen, nichts versprechen. Sie sollen sich verstecken, damit ihre Trägerin nicht zu viel damit verrät. Sie sollen keine Botschaften senden, sie sollen konform sein – in optisch ansprechender Verpackung. Dabei hat selbst die Unterwäscheindustrie noch immer keine Antwort auf die verschieden großen Brüste einer Frau. Die scheinbar weiblichste aller Rundungen muss in normierte Körbchen passen. A, B, C oder D und so weiter – was für eine Hälfte der Brust passt, das muss auch für die andere gelten. Und auch auf die weiblichen Körperveränderungen nimmt ein BH keine Rücksicht: Egal, ob Zyklus, Schwangerschaft, Stillzeit oder Alter! Nicht der Büstenhalter hat sich anzupassen, sondern die Frau. Damit wird auch Geschäft gemacht, wenn großbusige Frauen verstärkte Träger brauchen, kleinbusige Frauen den „Mehr- Effekt“ und eigentlich keine Frau genau weiß, wie man einen BH gesundheitstechnisch richtig trägt.

Dass Frauen sich und ihrer Gesundheit, ihrem Rücken, ihrer Haltung oder ihrem Nacken mit falschen BH-Einstellungen Schaden zufügen, wird erst seit Kurzem zaghaft aufgegriffen. Die Lobby dafür fehlt. Schon Teenagermädchen pushen hoch, stopfen aus, polstern mit kleinen genähten Elementen, die überall erhältlich sind, oder kaufen den BH gleich mit Geleinlage. Sie raffen den anfangs kleinen Busen an den Bändern hoch, denn er muss stehen. Sie wollen Aufmerksamkeit an einer Körperstelle, die ihnen längst nicht vollends vertraut ist. Sie meinen, ein Mehr an Umfang meine auch ein Mehr an Beliebtheit oder Selbstwert.

Während Burschen in diesem Alter der Brustumfang des gleichaltrigen weiblichen Gegenübers egal ist, wie Umfragen belegen, gehen junge Frauen vom Gegenteil aus. Verhält es sich am Ende mit dem Busen ähnlich wie mit dem angeblich „typisch weiblichen“ Wesen? Wollen wir gefallen? Auffallen? Ins Auge stechen? Man könnte es annehmen, wenn da nicht ein Gegentrend stetig lauter werden würde. Immer mehr junge Frauen tragen keine Metallbügel unter ihrer Brust, sie zwängen ihre Rundungen in keine Normen, zelebrieren öffentlich und in sozialen Medien unter dem Hashtag #freeyourboobs (befreie deine Brüste) die BH-freie Mode und das Sich-Widersetzen gegen alle Normen und Vorgaben. Die Brust ist demnach vieles: Sinnbild für Schönheit, für feministische Befreiung, für Erotik, für Weiblichkeit und eine neue Körperkultur. Doch was ist feministischer? Sich die Freiheit zu nehmen, keinen BH mehr zu tragen, und im Fall der Fälle auch damit zu provozieren? Oder sich die Brust vom Operateur so trimmen zu lassen, dass sich persönliche Zufriedenheit einstellt? Wirklich geschlechtergerecht gedacht wäre es, wenn wir all diese Diskussionen nicht mehr führen müssten. Wenn Busen gleich Busen wäre, egal, wer ihn trägt.

Kennst du schon das "Welt der Frauen"-Magazin?

Das Leben ist so viel mehr als Makeup, Frisuren und Modetrends. Das „Welt der Frauen“-Magazin berichtet über das, was Frauen wirklich interessiert – dich bestimmt auch. Probier‘s einfach aus!

Jetzt kennenlernen