Buchempfehlung: Autonom bis zum Schluss

Buchempfehlung: Autonom bis zum Schluss
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  • Veröffentlicht: 03.11.2021
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95 Jahre in Lebens-Bildern – gehen Sie auf Zeitreise mit der grandiosen Schauspiel-Ikone Erni Mangold!

Erni Mangold sagt, was sie denkt, egal, ob in Interviews oder in Talkshows wie „Willkommen Österreich“: Im vorliegenden Bild- und Gedankenband fährt man mit der Rebellin durch ihr Leben und genießt Selbstironie und Lebensweisheiten. 

Die Schauspielerin kam am 26. Jänner 1927 in Großweikersdorf in Niederösterreich zur Welt: Einen Monat zu früh, auf dem Wirtshaustisch im Wirtshaus der Großeltern. Selbstironie gehört wohl zu den Stärken der hier Porträtierten, die auf den ersten Seiten dieses Bildbandes von der Nacht vom 21. Auf den 22. Juli 2022 erzählt. Sie stürzt, kann erst nach „einer halben Ewigkeit“ die Rettung rufen, kommt ins Krankenhaus.

„Ich weiß, was jetzt auf mich zukommt: der Beginn einer ganz langen Scheiße. Ich verlasse das Haus in den frühen Morgenstunden des 22. Juli und komme im November wieder zurück.“

Hilfe kann sie annehmen, aber nur dort und dann, wenn gleichzeitig ihre Autonomie geachtet wird. Sie teilt ihre Erinnerungen an Kindheit und Jugend, an das Gefühl, nicht ganz in die Familie zu passen und hält mit ihrer politischen Einstellung ebenso wenig hinter dem Berg wie mit ihren Haltungen und Werten. Sie, die damals junge Schauspielerin, wurde in Anlehnung an die Hollywood-Stars geschminkt, wie wenig ihr das gefiel, teilt sie in den Kommentaren der zahlreichen Fotografien mit.

Eitelkeit ist ihre Sache nicht, sie nennt mehrere Freundinnen und Lebensmenschen, mit denen sie viel verbindet, mit denen sie nicht nur Erinnerungen teilt. Zu Beginn streifen wir LeserInnen mit Erna Goldmann durch Großweikersdorf, lernen den rauchig-würzigen Geruch gerösteter Zwiebeln kennen und merken, wie einsam ein Kind sein kann. Erna Goldmann wird wegen einer Namensgleich- bzw. ähnlichkeit mit einem Schauspieler-Kollegin zu Erni Mangold, die aus ihrem Leben erzählt, indem sie ihr privates Bildarchiv öffnet.

Dass dieser Band auch ein Zeitgeschichte-Dokument ist, in jeder Schulbücherei stehen sollte, besagt das folgende Zitat, wenige Tage hier in die Rezension geschrieben nach dem 22. Femizid in Österreich:

„Heute Morgen die Nachricht vom 14. Frauenmord in Österreich 2021. Was bekommen wir zu hören? Es besteht Handlungsbedarf. Was, bitteschön, soll das heißen? Handlungsbedarf. Heißt, es bedarf einer Handlung. ... Der Handlungsbedarf ist die lange Bank, auf die man unangenehme Anliegen schiebt, in der Hoffnung, dass sie irgendwann vergessen werden.“

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Bildband nicht ansehen und lesen

Humor, Politik, Bestimmtheit in Lebenshaltungen, Ermutigung, im Alter auf Autonomie zu bestehen, Tief- und Hintergründiges, wunderbare Texte von Elfriede Gerstl und Elfriede Jelinek, Vorstellungen davon, wie man einfach und gut leben könnte …

Erni Mangold
Sagen Sie, was Sie denken. Mein Leben in Bildern.
Aufgeschrieben von Doris Priesching.
Molden Verlag 2021.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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