Warum man Babys nicht verwöhnen kann und von Schlaflern-Programmen die Hände lassen sollte.
Julia Langeneder: Der Babyschlaf ist eines der häufigsten Themen unter Eltern und wird manchmal zur Kampfzone. Welche Mythen halten sich immer noch?
Sandra Haiderer: Eltern sind oft verunsichert, dass sie ihre Kinder verwöhnen, wenn sie prompt auf die Bedürfnisse ihres Babys reagieren, zum Beispiel, wenn es nach Bedarf gestillt oder zum Schlafen getragen wird. Sie hören auch öfter von anderen: „Du verwöhnst das Kind zu sehr.“
Und ist das tatsächlich so?
Haiderer: Es gibt kein Verwöhnen! Als artgerecht-Familiencoach liegt es mir am Herzen, Eltern zu entlasten: Zu viel Liebe gibt es nicht! Es geht darum, die Bedürfnisse des Kindes nach Nähe und Geborgenheit wahrzunehmen. Irgendwann wird das Kind alleine schlafen.
Bernadette Brandl: Viele sagen: „Am Tag darf das Kind nicht zu lange schlafen, sonst schläft es in der Nacht nicht.“ Manche Eltern stellen die Uhr und wecken das Kind zu einer gewissen Zeit auf. Wir ließen unsere Tochter als Baby schlafen, wann sie wollte. Gerade in Wachstumsphasen brauchte sie viel Schlaf.
Schlafen lassen oder aufwecken – was raten Sie, Frau Haiderer?
Haiderer: Babys einen Rhythmus anzuerziehen, ist absurd. Sie schlafen, wann sie schlafen. Irgendwann finden Kinder selber einen Rhythmus.
Ist das Schlafbedürfnis angeboren?
Haiderer: Die Forschung geht davon aus, dass 40 Prozent „unkomplizierte“ Babys sind, die sich schnell an neue Situationen anpassen und schnell beruhigen lassen, und 60 Prozent der Babys haben ein schwierigeres Temperament. In der Evolution hatten diese einen Vorteil. Kinder, die laut und anhaltend schrien und sich nicht ablegen ließen, hatten eine höhere Überlebensrate, da sie in Hungerzeiten weiterhin gefüttert und getragen wurden.
Ein schwacher Trost für Eltern, deren Kind ein „schwierigeres“ Temperament hat.
Haiderer: (lacht) Ja. Ich habe auch zwei „evolutionäre Erfolgsmodelle“ zu Hause.
Wie ist das bei Ihren Kindern?
Brandl: Meine beiden Kinder waren sehr auf mich fixiert. Ich saß jahrelang neben ihrem Bett und hielt ihre Hand. Ich war unabkömmlich, das war zäh. Bei meinem Sohn probierte ich einmal die Methode „Jedes Kind kann schlafen lernen“. Man legt das Kind wach und allein ins Bett, und wenn es weint, schaut man in genau festgelegten Abständen nach ihm. Als ich das dritte oder vierte Mal zu ihm ins Zimmer kam, war er dabei, über das Gitterbett zu klettern. Für mich war klar: so nicht mehr.
Schlaflernprogramme wie dieses sind umstritten – warum soll man die Hände davon lassen?
Haiderer: Die Methode ist trügerisch. Tatsächlich schlafen die Kinder nach ein paar Nächten alleine ein, aber nicht, weil sie es gelernt haben, sondern weil sie resignieren: Mir wird hier nicht geholfen. Die Eltern-Kind-Bindung nimmt dadurch massiv Schaden.
Julia Langeneder,
Familienredakteurin und Mutter von zwei Kindern, lädt jeden Monat zum Familienrat ein.
Aber wie sollen sich Eltern verhalten, wenn das abendliche Händchenhalten an den Kräften zehrt?
Haiderer: Schlafen ist von der Evolution gesehen etwas höchst Riskantes. Der evolutionär vorgesehene Weg führt daher über Entspannung: Händchenhalten, Kuscheln, Einschlafstillen. Das Kind sammelt Sicherheitserfahrungen und irgendwann lernt es, alleine einzuschlafen. Das Problem ist, dass wir in der Kleinfamilie in keinem artgerechten Setting leben – da ist Überforderung vorprogrammiert. In einem artgerechten Setting hätten wir mehr Unterstützung. Die Frage ist: Wie kann ich mein Leben artgerechter gestalten? Es geht darum, einen Clan aufzubauen, ein Netzwerk. Welche drei Personen könnten mich unterstützen?
Brandl: Ich bin froh, dass meine Kinder inzwischen alleine einschlafen. Wichtig sind jedoch Rituale. Der Papa liest meinem Sohn eine Geschichte vor, ich singe ein Gute-Nacht-Lied und sage mit meiner Tochter einen Spruch auf.
Haiderer: Rituale sind für uns alle schön, weil es ein vertrauter Weg ist, unsere Bedürfnisse zu erfüllen.
Das Kind schläft schon alleine ein und auf einmal will es wieder zu Papa und Mama ins Bett: Wie konsequent muss man sein?
Haiderer: In der bindungs- und bedürfnisorientierten Elternschaft richten wir uns konsequent nach der Verfassung des Kindes. Wenn es zahnt oder krank ist, oder wenn wir den abendlichen Sinkflug verpasst haben und aus dem müden Kind ein übermüdetes Kind wird, weichen wir konsequent von unserem Vorhaben ab. Wenn wir alle wieder Kraft haben, können wir weitermachen.
Brandl: Ein Gedanke noch: Man sollte klar bleiben. Wenn es einem selber mal nicht gut geht, soll man das klar ausdrücken. Klarheit gibt Kindern auch Sicherheit.
Was braucht es sonst noch für einen guten Schlaf?
Haiderer: Allgemein lässt sich sagen: Eine kühle, ruhige Umgebung wäre ideal. Fernseher oder Spielkonsole sollten nicht im Zimmer stehen, weil die Kinder sonst nachweislich schlechter schlafen.
Julias Gäste
Sandra Haiderer,
artgerecht-Familiencoach,
Mutter von zwei Kindern (2 und 5 Jahre)
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Dann schreiben Sie an
julia.langeneder@welt-der-frauen.at
Fotos: privat
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