Stell dir vor, du bist die zweitmächtigste Person der westlichen Welt, und trotzdem nennt man dich "Kamala" – als wärst du die neue Praktikantin in der Buchhaltung. Willkommen in der irritierenden Realität weiblicher Führungskräfte.
Als der republikanische Senator David Perdue sich 2020 demonstrativ weigerte, Kamala Harris‘ Vornamen korrekt auszusprechen, war das kein sprachlicher Fauxpas. Es war eine kalkulierte Demütigung. „Ka-MAL-a? Kah-MAH-la? Kamala-mala-mala? I don’t know,“ spottete er auf einer Wahlkampfveranstaltung für Donald Trump. Während männliche Politiker wie er selbstverständlich den respektvollen „Senator“ oder „Präsident“ Zusatz erhalten, werden ihre weiblichen Kolleginnen erstaunlich häufig auf den Vornamen reduziert – oder dieser wird zum Gegenstand gemeiner Wortspiele.
Perfide Delegitimierung
Das Phänomen ist so alltäglich, dass wir es kaum noch bemerken: Hillary statt Clinton oder Angela statt Merkel. Männliche Politiker werden dagegen routinemäßig mit Nachnamen adressiert: Trump, Biden, Obama. Niemand käme auf die Idee, einen Artikel mit „Karl kämpft um sein politisches Überleben“ zu betiteln, wenn es um Kanzler Nehammer geht.
Diese sprachliche Asymmetrie ist keine Belanglosigkeit. Sie ist Teil eines ausgeklügelten Systems der Delegitimierung. Die Verwendung des Vornamens suggeriert Informalität, manchmal sogar Intimität – Qualitäten, die in der harten Welt der Politik schnell als Schwäche ausgelegt werden können.
Dabei beschränkt sich diese, wenn auch unbewusste, Demütigung nicht nur auf den Bereich der Politik. Eine Studie suggeriert bereits, dass Frauen in Machtpositionen eher mit dem Vornamen angesprochen werden, als ihre männlichen Pendants.
Die Geschichte von Kamala Harris‘ Namen ist dabei besonders aufschlussreich. Hier kreuzen sich, wie so oft, gleich mehrere Formen der Diskriminierung: Die Verweigerung des korrekten Titels („Madam Vice President“), die betont falsche Aussprache des Vornamens und die implizite Botschaft, dass ein nicht-angelsächsischer Name irgendwie weniger „präsidentiell“ sei.
“Sie ist so locker drauf”
Besonders perfide wird es, wenn die Vornamen-Strategie als vermeintliche Kompliment daherkommt. „Kamala ist so sympathisch!“, „Angela wirkt heute entspannt!“ – Aussagen, die unter dem Deckmantel des Lobes eine subtile Entprofessionalisierung vornehmen. Männliche Politiker werden für ihre Kompetenz gelobt, Politikerinnen für ihre Zugänglichkeit.
Die Message ist klar: Frauen in Machtpositionen sollen gefälligst „nahbar“ bleiben. Der Vorname hält sie auf Augenhöhe mit dem Durchschnittsbürger – während ihre männlichen Kollegen durch die Verwendung des Nachnamens sprachlich auf ein Podest gehoben werden.
Das Ende der Doppelstandards?
Vielleicht liegt die Lösung darin, dass mehr Frauen wie Kamala Harris darauf bestehen, mit ihrem vollen Titel angesprochen zu werden. Vielleicht braucht es aber auch ein grundsätzliches Umdenken in den Redaktionen und Nachrichtenstudios dieser Welt. Die nächste Generation von Politiker*innen wird hoffentlich in einer Welt agieren, in der ihr Name nicht mehr als Waffe gegen sie eingesetzt wird.