Buchempfehlung: Nichts geschieht umsonst

Buchempfehlung: Nichts geschieht umsonst
  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 07.07.2021
  • Drucken

Feiern, trauern, reden: Die beiden Protagonistinnen in Susann Pásztors Roman „Die Geschichte von Kat und Easy" stellen sich ihrer gemeinsamen Vergangenheit im biederen Laustedt sowie ihrer jeweilig individuellen Interpretationen der Jugend und ihrer Jugendlieben.

Feiern, trauern, reden: Die beiden Protagonistinnen stellen sich ihrer gemeinsamen Vergangenheit im biederen Laustedt sowie ihrer jeweilig individuellen Interpretationen der Jugend und ihrer Jugendlieben. Gelingt es Kat und Easy nach 46 Jahren, über Liebe und Tod, über Lügen und Geheimnisse hinweg ehrlich sein?

Die Autorin bereitet die Szenen akribisch vor. Warum treffen sich die zwei ehemaligen Jugendfreundinnen, Kat und Easy, nach über 40 Jahren wieder? Kat schreibt unter dem Decknamen „Mockingbird“ einen Blog, gibt Ratschläge zu Beziehungsproblemen. Die Mails, die ihr unter dem Pseudonym „Ich-wills-wissen“-zugehen, irritieren Kat und machen sie wachsam, Mockingbirds Antworten sind ebenso poetisch wie tröstlich.

„Viele unserer Verhaltensmuster sind eine Art Sicherheitspersonal, das wir irgendwann mal eingestellt haben. Solange wir unsere Wachleute mit den immergleichen Informationen und Überzeugungen versorgen ... machen sie zuverlässig ihren Job.“

Es dauert nicht sehr lange, bis Mockingbird, also Kat, und Easy, vulgo „Ich-wills-wissen“ mit ihrer wahren Identität herausrücken. Zeit zum Reden, Zeit, Farbe zu bekenne. Zwei Freundinnen, zwei Lebensentwürfe, zwei Orte der Begegnung bzw. Wiederbegegnung: Dieser Plot garantiert Spannung, zeigt Entwicklungsmöglichkeiten, hält die Spannung zwischen Deutschland, Griechenland und dem Internetchat. Man kann sich – auch nach 46 Jahren – aussprechen, man kann Erinnerungen wiederbeleben. Dazwischen kann man auch ausgelassen lachen, feiern und sich kompromisslos dem Verlorenen stellen.

Ein kurzer Blick in die Enge von Laustedt, wo Easy und Kat aufwachsen, wo sich die Jugendlichen rund ums Jugendzentrum gruppieren, in dem Fripp beiden Mädchen gefällt, beide begeistert und in beiden heftige Sehnsüchte weckt:

„Kat weiß, wie Sex geht. Ihre Intuition sagt ihr, an welchen Stellen sie die Bertelsmann-Clubausgaben aufschlagen muss, um an relevante Informationen zu gelangen. Kats Vater steht auf Bücher von Harold Robbins, Jacqueline Susann und Johannes Mario Simmel, und die Handlung ist teilweise etwas ermüdend, aber auch so inspirierend, dass mittlerweile niemand mehr glaubt, Kat wäre noch Jungfrau, nicht einmal Easy glaubt das, und manchmal glaubt es Kat selbst nicht mehr, so groß ist ihr Wissen, das sie freigiebig mit den Unwissenden teilt. Kats Vater ist letzten Monat ausgezogen, aber seine Bücher hat er dagelassen.“

Dieser trockene Humor, diese Beiläufigkeit der Schilderungen von Sein und Schein in der Kleindstadtenge, der Wunsch, souverän zu sein, die Verluste – wie hier des Vaters -, die schnell weggewischt werden: Es ist neben dem ausgeklügelten Plot dieser Schreibstil, der unterhaltsame Nachdenklichkeit oder nachdenklich machende Unterhaltung bietet.

Der Unfalltod Fripps beziehungsweise die Stunden und Szenen vor seinem Unfall, lüften noch andere Geheimnisse: Das Sicherheitspersonal im Leben der beiden Freundinnen kann sich jetzt frei nehmen, es werden neue Seiten aufgeschlagen, behutsam, lachend, nachdenklich.

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen

Jugend, Hoffnung, Verliebtsein, Spannung, Erinnerung, Reife zweier Teenager, Witz, den dezenten Charme der 70er Jahre, Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, Ideen, wie man sich selbst im Weg stehen kann und wie es gelingt, sich nach 46 Jahren wieder anzunähern

Die Autorin Susann Pásztor

ist 1957 in Soltau (niedersäschsische Mittelstadt, zentral in der Lüneburger Heide gelegen) geboren, studierte Kunst und Pädagogik. 2010 erscheint ihr erster Roman – „Ein fabelhafter Lügner“ – , der gleich in mehrere Sprachen übersetzt wird. Es ist ihr dritter Roman „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“, der ihr den Evangelischen Buchpreis einbringt: Das Thema Sterbebegleitung, verwoben mit der Betrachtung der Vater-Sohn-Beziehung. Pásztor, die als Autorin, Übersetzerin und Illustratorin in Berlin lebt, arbeitet nach ihrer Ausbildung bei der Stiftung Lazarus-Diakonie Berlin ehrenamtlich beim ambulanten Hospizdienst.

Susann Pásztor:

Die Geschichte von Kat und Easy
Kiepenheuer & Witsch
272 Seiten.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

Mehr Lesestoff von Christina Repolust erscheint regelmässig in der „Welt der Frauen”, Rubrik Staunen & Genießen. Hier können Sie ein kostenloses Testabo bestellen.