Er erzählt die Geschichte von Menschen, die es sonst nicht in die Geschichtsbücher schaffen. Statt von Kaisern und Königen, Adeligen und Mächtigen handelt der Film „Des Teufels Bad“ von den einfachen Leuten. Das ist einer von vielen Gründen, warum der aktuelle Kinofilm so aufwühlt.
Hätte sie zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort gelebt, wäre ihr Schicksal dann ein völlig anderes gewesen? Das mag sein. Agnes wird aber Mitte des 18. Jahrhunderts in die bäuerliche Gesellschaft Oberösterreichs geboren. Der Begriff „einfache Verhältnisse“ trifft nicht zur Gänze, was das bedeutet. Nämlich in einer patriarchalen, unverrückbaren, von Dogmen und tiefer Gläubigkeit bestimmten Welt zu leben, die keinen Spielraum lässt, keine Optionen offenhält und keine Ausreißer tolerieren kann, weil alles knapp ist – Liebe, Nahrung, Zeit, Perspektive. Vor allem für eine Frau wie Agnes, die nicht hineinpassen will in diese Struktur.
Agnes, das ist aus heutiger Sicht klar, ist psychisch krank. Depressionen, Angstzustände, Wahnvorstellungen: Wir wissen nicht, woran genau die junge Frau erkrankt ist. Wir wissen aber, dass es damals weder ein Wort dafür gab noch eine Therapie. Und so fällt sie aus dem Rahmen, wird zur Bürde, verliert den Halt. Agnes sucht einen Ausweg. Und weil ihr alle anderen verstellt sind, will sie die Erde verlassen, will den „Freitod“, sich durch Selbsttötung von ihrem Leben „befreien“. Doch zu tief sitzt ihr Glaube. Zu groß ist die Angst, durch die Sünde des Suizides in die Hölle zu gelangen. Menschen, die sich selbst das Leben nahmen, bekamen zu dieser Zeit kein christliches Begräbnis, nicht einmal eine Grabstätte. So wählt sie den einzigen Weg, der ihr möglich scheint.
„Weil Selbsttötung im christlichen Glauben eine Sünde ist, führt sie unweigerlich, so der Glaube, in die ewige Hölle.“
Grausame Logik
Dieser Weg ist heute als „mittelbarer Suizid“ bekannt, ein Phänomen, das die Historikerin Kathy Stuart erforscht hat. In ihrem Buch „Suicide by Proxy in Early Modern Germany“ beschreibt sie das Phänomen, das vom 16. bis ins 19. Jahrhundert bis zu 400 Fälle im deutschsprachigen Raum zählt. Die grausame Logik dahinter lässt sich nur innerhalb einer tiefreligiösen Welt erklären: Weil Selbsttötung im christlichen Glauben eine Sünde ist, führt sie unweigerlich, so der Glaube, in die ewige Hölle. Die Menschen brachten sich daher nicht selbst um, sondern ermordeten einen unschuldigen Menschen (meist ein Kind), worauf die Todesstrafe stand. Vor der Exekution legten sie die Beichte ab, wodurch sie nach ihrer Hinrichtung, so glaubten sie, genau wie ihr unschuldiges Opfer in Gottes Himmelreich gelangen würden.
Es war eine vermehrt von Frauen begangene Tat – nur rund ein Drittel der Fälle von mittelbarem Selbstmord wurde von Männern begangen. Warum das so ist, darüber lässt sich nur spekulieren. Klar ist, dass Frauen wie Agnes vom patriarchalen System der Gesellschaft, in der sie lebten, besonders stark unter Druck gesetzt wurden. Ängste, Not, Hunger, die Versorgung von Mann, Kindern, Haus und Vieh, die harte Arbeit, die notwendig war, um den Feldern das Nötigste zum Überleben abzutrotzen: Daran zerbrachen viele Frauen.
„Damals wie heute stehen Frauen unter Druck. War es früher die Kirche, löst heute die Mehrfachbelastung durch Mutterschaft und Beruf, gepaart mit einem durch Gesellschaft und Medien aufgeheizten Perfektionsanspruch, Druck aus, der, damals wie heute, zu psychischen Krankheiten wie Burn-out oder Depression führen kann. “
Frauen unter Druck
Darin besteht ein weiterer Punkt, den der Film berührt. Damals wie heute stehen Frauen unter Druck. War es früher die Kirche, löst heute die Mehrfachbelastung durch Mutterschaft und Beruf, gepaart mit einem durch Gesellschaft und Medien aufgeheizten Perfektionsanspruch, Druck aus, der, damals wie heute, zu psychischen Krankheiten wie Burn-out oder Depression führen kann.
Wie also wäre Agnes Leben verlaufen, hätte sie der Zufall zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort leben lassen? Wäre sie ausgebrochen? Oder wäre sie dennoch zerbrochen? Hätte sie die Unterstützung bekommen, die sie gebraucht hätte? Hätte sie es geschafft, über den Rand ihrer tiefreligiösen, von unverrückbaren Dogmen umstellten Welt zu blicken und sich aufzulehnen?
„Des Teufels Bad“ ist ein Film, der auf historischen Tatsachen fußt und niemanden unberührt zurücklässt. Der viele Fragen aufwirft und zeigt, wie wenige davon wir beantworten können. Der die Frage nach Täter und Opfer, nach Schuld und Unschuld, nach Leid und Erlösung aufwirft und der damit ein wichtiges Stück Frauengeschichte freilegt.
Wenn auch Sie oder ein Angehörige/ eine Angehörige sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen beziehungsweise anzubieten!
Für Menschen in Krisensituationen und deren Angehörige gibt es eine Reihe von Anlaufstellen. Unter suizid-praevention.gv.at sind Anlaufstellen für Erste Hilfe bei Suizidgedanken zu finden. Telefonische Hilfe im Krisenfall gibt die Telefonseelsorge: Notruf 142, täglich von 0 bis 24 Uhr. Oder online unter telefonseelsorge.at.
Des Teufels Bad
Oberösterreich im Jahr 1750: Agnes, jung verheiratet, findet in der fremden Welt ihres Mannes keinen Platz. Immer mehr zieht sich die tiefreligiöse und hochsensible Frau in sich selbst zurück, weg von der bäuerlichen Welt der Arbeit und des Alltags. Ein erschütternder Gewaltakt scheint ihr schließlich der einzige Ausweg aus dem inneren Gefängnis. Das abgründige Psychogramm einer Hoffenden, Suchenden, Fliehenden basiert auf historischen Protokollen und einem wahren, bisher unbeleuchteten Kapitel europäischer (Frauen-)Geschichte.
Mit Anja Plaschg, David Scheid und Maria Hofstätter. Drehbuch und Regie: Veronika Franz, Severin Fiala. Filmmusik: Soap&Skin / Anja Plaschg. Kamera: Martin Gschlacht (ausgezeichnet mit dem Silbernen Bären der Berlinale)
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