Buchempfehlung: „Der Duft der Blumen bei Nacht“

Buchempfehlung: „Der Duft der Blumen bei Nacht“
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  • Veröffentlicht: 14.06.2022
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Aufrichtigkeit ist vermutlich keine literarische Kategorie. Aber sie sollte es werden: Hier erzählt Slimani ohne Verstellung und Schnörkel von ihren Gefühlen, ihrem Schreiben, den Störungen, die sie am Schreiben hindern.

Sich selbst und die Welt erfinden

Leila Slimani gilt als eine der wichtigsten und erfolgreichsten Autorinnen in Frankreich: Sie erhielt Preise, erregte mit ihren Romanen Aufsehen. Wer ihr jetzt in das Museum Punta Della Dogana in Venedig folgt, kommt ihr näher als je zuvor: Erinnerungen an ihre Kindheit, Gedanken über Integration bzw. das Anderssein fließen ineinander. Und vielleicht möchte man jetzt einfach auch heimlich eine Zigarette auf der Museums-Toilette rauchen. Aber nur vielleicht.

Aufrichtigkeit ist vermutlich keine literarische Kategorie. Aber sie sollte es werden: Hier erzählt Slimani ohne Verstellung und Schnörkel von ihren Gefühlen, ihrem Schreiben, den Störungen, die sie am Schreiben hindern. Ja, sie sollte einfach „Nein“ sagen zu Verabredungen, dann könnte sie vermutlich schreiben, aber will sie dieses „Nein“? So trifft die Autorin Ihre Lektorin, trinkt ein Glas Wein und überlegt, ob sie vielleicht eine Nacht in einem Museum in Venedig verbringen möchte, eingeschlossen, aber auch mit der Option, Türen wieder geöffnet zu bekommen.

„Es war nicht das Museum, das mich überzeugte. ... In Wahrheit lässt mich die Aussicht, inmitten von Kunstwerken zu schlafen, gleichgültig. Ich träume nicht davon, diese Werke ganz für mich allein zu haben. Ich denke nicht, dass ich sie besser sehen kann ohne Menschenmenge, dass sich mir ihre tiefere Bedeutung erschließt, weil wir unter uns sind.“
Seite 20

Genau dieses Eingeschlossensein, das Gefühl, an einem Ort zu sein, aus dem weder hinausgehen noch hereinkommen kann, fasziniert die Autorin, die sofort an die großartigen Eremiten der Literaturgeschichte erinnert, an die scheuen EinzelgängerInnen von Hölderlin bis zu Emily Bronte und dann noch einige Persönlichkeiten weiter.

„„Schreiben heißt, mit dem Schweigen spielen, auf Umwegen Geheimnisse aussprechen, die im wahren Leben unaussprechlich sind. Die Literatur ist eine Kunst der Zurückhaltung.““
Seite 29

Die Autorin, die lebenslang nie nicht das Gefühl hatte, einer Mehrheit anzugehören, erkennt die Widersprüchlichkeit und meint „Man ist von hier und auch wieder von woanders.“ (S. 135) Nach der Nacht genießt sie einen starken Espresso und dann noch einen und versteht, dass sie mit ihrem Schreiben das Unrecht, das ihrem Vater widerfuhr, wieder gutmachen wollte bzw. will.

„„Ich lebe auf einer Insel, nicht, um den anderen aus dem Weg zu gehen, sondern um sie zu betrachten und so meine Leidenschaft für sie zu stillen.““
Seite 158

Was Sie versäumen, wenn Sie dieses Buch nicht lesen:

Stille, Ruhe, den Weg zu Stille und Ruhe, Auseinandersetzung mit Fremdsein, Integration, Schreibhemmung, Kindheitsverbote, Freiheit, Auszeit, eigene geheime Wünsche entdecken, Liebe zu dieser Autorin in ihrer Verletzlichkeit und Offenheit.

Leila Slimani

Die Autorin: französisch-marokkanische Autorin, 1981 in Rabat geboren, aufgewachsen in Marokko, Studium in Paris. Zahlreiche Auszeichnungen für ihre Bücher, besonders für „Dann schlaf auch du“ und „All das zu verlieren“.

Amelie Thoma

Die Übersetzerin: Übersetzerin für Literatur aus dem Französischen, u. a. Simone de Beauvoir, Marc Levy

Leila Slimani
Der Duft der Blumen bei Nacht.
Roman
Aus dem Französischen von Amelie Thoma.
München: Luchterhand 2022.
160 Seiten.
ISBN 978-3-630-87687-0.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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