„Dass ein Unternehmer per se eine Frau schlechter bezahlt, halte ich für Schwachsinn“

„Dass ein Unternehmer per se eine Frau schlechter bezahlt, halte ich für Schwachsinn“
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  • Veröffentlicht: 13.04.2023
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Seit 2019 ist Angelika Winzig für die Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament tätig. Schwerpunkte der Oberösterreicherin sind Gewalt gegen Frauen und Förderung der Selbstständigkeit. Christoph Unterkofler sprach mit der EU-Abgeordneten außerdem über Ausbildungsmöglichkeiten und Lohnlücken.

Wir sitzen frühmorgens in einem kleinen Café in Brüssels EU-Viertel, die Europäische Union ist hier nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Institutionen und Gebäude richtiggehend spürbar. Was hat Sie dazu bewogen, als Abgeordnete Teil dieser Union werden zu wollen?

Ich bin in die Politik gegangen, weil mich gewisse Dinge gestört haben. Und ich bin nach Brüssel gegangen, weil mich gestört hat, dass zwischen Bevölkerung, nationalem Parlament und EU eine Lücke klafft. Diese Verbindung zu schaffen, ist mir ein Anliegen, mein Antrieb und meine Motivation.

Sie sind seit etwa vier Jahren Mitglied des Europäischen Parlaments. Worauf sind Sie stolz beziehungsweise welche Projekte tragen Ihre Handschrift?

Ein Herzensprojekt von mir ist die duale Ausbildung für Jugendliche. Auch jetzt ist es gerade wieder Thema im Ausschuss: Geht es einer Firma schlecht oder geht diese in Konkurs, unterstützen wir die Mitarbeiter bei einer Ausbildung. Wenn diese Mitarbeiter aber ein Arbeitsleben lang bei nur einer Maschine gestanden sind, immer dieselbe Tätigkeit ausgeübt und sich nach der Schule nicht mehr weitergebildet haben, ist die Situation schwierig. Man würde sich durch die duale Ausbildung erstens viel Geld sparen und zweitens wäre es einfach gut für die Menschen, die dann in diese Arbeitslosigkeit kommen, wenn sie noch eine weitere Ausbildung hätten – gerade auch bei Frauen, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

„Es ist gut, wenn Mädchen im Rahmen der dualen Ausbildung auch in technische Berufe gehen.“

Und die duale Ausbildung ist ein Projekt, das auf EU-Ebene umgesetzt werden kann?

Bildung ist tatsächlich nicht die Kompetenz der Europäischen Union, sondern vielmehr der Mitgliedsstaaten – und die duale Ausbildung gibt es nur in Österreich sowie in Deutschland. Aber wir versuchen derzeit, den Kommissar zu motivieren, die duale Ausbildung auch in anderen Ländern zu ermöglichen. Im heurigen „Jahr der Skills“ – also der Aus- und Weiterbildung – wird es im Herbst auch noch ein Projekt zu diesem Thema geben.

Gibt es – was die duale Ausbildung betrifft – geschlechterspezifische Unterschiede?

Nein, das ist für Mädchen wie Burschen gleich wichtig. Aber es ist gut, wenn Mädchen im Rahmen der dualen Ausbildung auch in technische Berufe gehen. Da gibt es sowohl in Österreich als auch auf europäischer Ebene ein großes Angebot, das man ihnen nur näherbringen muss. 

Nun ist Ihnen die duale Ausbildung ein Anliegen – was aber ist eines der Projekte, auf das Sie stolz sind, es bereits umgesetzt zu haben?

Das kommt aus einem anderen Bereich. Mein größtes Projekt war die Roaming-Regulation, die ich als Chefverhandlerin habe gestalten dürfen. Und ansonsten bin ich vor allem engagiert bei Gewalt gegen Frauen und dass die Istanbul-Konvention ratifiziert wird, weil es nach wie vor einige Länder gibt, in denen dies nicht der Fall ist. 

Ganz kurz erklärt: Was besagt diese Konvention konkret?

Dabei handelt es sich um den ersten und einzigen Rechtsakt auf internationaler Ebene, was Gewalt gegen Frauen betrifft. Österreich war eines der ersten Länder, die die Konvention ratifiziert haben und Österreich ist auch Vorreiter, etwa was Wegweisungen im Falle von Gewalt betrifft.

„Eigenständigkeit und Selbstbestimmung ist nur möglich, wenn man auch wirtschaftlich die Möglichkeit sieht, sich vom Partner trennen zu können. “

Gibt es denn Länder in der EU, in denen die Umsetzung dieser Konvention dringend notwendig wäre?

Ja, mit Sicherheit. Unlängst war eine Frauengruppe aus Bulgarien bei uns, die berichtete, dass es nur wenige Frauenhäuser gäbe, dass sich die Situation durch die Coronapandemie nochmals massiv verschlechtert habe und dass es massiven Aufholbedarf gäbe.

Weil die Frauen in Beziehungen gefangen sind, obwohl die Beziehung alles andere als glücklich oder sogar eine Gewaltbeziehung ist?

Genau. Man kommt aus der Beziehung nicht raus. Und deshalb ist auch hier Aus- und Weiterbildung ein wichtiger Punkt. Eigenständigkeit und Selbstbestimmung ist nur möglich, wenn man auch wirtschaftlich die Möglichkeit sieht, sich vom Partner trennen zu können. 

Sie sind auf EU-Ebene unter anderem im Ausschuss für die Rechte der Frauen und Gleichstellung der Geschlechter. Was wird in diesem Ausschuss – neben der erwähnten Istanbul-Konvention – derzeit behandelt?

Der Ausschuss ist vielfältig und breit gefächert, weil in diesem Ausschuss viele Themen „aufschlagen“ – wie etwa auch Lohntransparenz, Mindestlohn oder Frauen in Aufsichtsräten. Letzteres ist aber nur ein Mikrokosmos, der sehr wenige betrifft und für die breite Masse nicht von Relevanz ist.

„Man muss den Frauen auch die Angst vor den MINT-Fächern nehmen.“

Aber macht es überhaupt Sinn, diese Themen auf EU-Ebene zu behandeln oder sind nicht ohnehin die „untergeordneten“, nationalen Ebenen dafür verantwortlich?

Sowohl als auch. Es ist schon richtungsweisend, wenn man im Europäischen Parlament einen Kompromiss findet und diesen den Ländern vorschlägt. Der Vorschlag allein ist schon wichtig – ob man dies dann durchsetzt oder nicht. Und wir versuchen auch in Drittstaaten Einfluss zu nehmen, damit die Stellung der Frau verbessert wird. Das wird bei manchen Diktatoren im Papierkorb landen, das ist uns klar – aber man muss dennoch dranbleiben.

Christoph Unterkofler & Angelika Winzig
Foto: Welt der Frauen

Neben der vorhin erwähnten Lohntransparenz gibt es beim Lohn ein meines Erachtens noch wichtigeres Thema, das aber damit zusammenhängt: die Lohnlücke zwischen Mann und Frau. Welche Maßnahmen kann man seitens der EU setzen, um endlich den Gender-Pay-Gap zu schließen? Oder funktioniert das ohnehin auf anderer Ebene?

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass ein Unternehmer nicht Feind seines eigenen Erfolgs ist. Er wird also einem Mann, der schlechter ist, nicht mehr bezahlen als einer Frau. Das Problem, das ich sehe, und wo wir investieren müssen, ist, dass sich Frauen in den MINT-Fächern engagieren. Technische Berufe in den Unternehmen werden einfach besser entlohnt – weil sie seltener sind und dringender gebraucht werden. Frauen neigen dazu, in Abteilungen wie Human Resources oder Marketing zu arbeiten, die in den Unternehmen schlechter bezahlt werden. Man muss den Frauen auch die Angst vor den MINT-Fächern nehmen.

Aber glauben Sie tatsächlich, dass die Lohnlücke ausschließlich mit der Berufswahl beziehungsweise mit der Wahl der Abteilung zu tun hat? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Frauen für dieselbe Tätigkeit einfach schlechter entlohnt werden?

Es gibt in Österreich Kollektivverträge. Darüber hinaus ist es Verhandlungssache und vielleicht sind Frauen ein bisschen zurückhaltender beim Verhandeln.

„Es wird immer die Supermarktkassiererin als Beispiel einer Niedrigverdienerin herangezogen – obwohl man ohnehin weiß, dass im Handel nicht so gut gezahlt wird wie beispielsweise in einem Industrieunternehmen.“

Wie man Ihrem Lebenslauf entnehmen kann, sind Sie selbst nicht nur EU-Abgeordnete, sondern auch geschäftsführende Gesellschafterin eines oberösterreichischen Betriebs. Wie ist die Situation bei Ihnen in der Firma was die Entlohnung betrifft?

Da geht es nach Leistung. Es gibt tolle Frauen, die super arbeiten und die mehr verdienen als Männer. Man kann dies also nicht so einfach über einen Kamm scheren. Es wird immer die Supermarktkassiererin als Beispiel einer Niedrigverdienerin herangezogen – obwohl man ohnehin weiß, dass im Handel nicht so gut gezahlt wird wie beispielsweise in einem Industrieunternehmen. Aber dass ein Unternehmer per se eine Frau schlechter bezahlt, halte ich für Schwachsinn. 

Ich stelle fest, dass es in erster Linie Ihr Ansatz ist, Frauen in Berufe zu bringen, in denen bessere Löhne und Gehälter bezahlt werden. Es gibt aber – und das ist belegt – auch den Effekt, dass das Lohnniveau sinkt, wenn Frauen stärker in ein Berufsfeld „vordringen“. Wie steuert man dem entgegen?

Ich glaube, dass wir im Moment kein Thema in dem Bereich haben, weil es so viele offene Stellen gibt. Erst kürzlich meinte etwa eine Frau zu mir, wie man denn zu einem Job im Bereich „Green Deal“ kommen würde – obwohl in dem Bereich derzeit etwa 200.000 Stellen offen sind. 

Sie ermutigen Frauen nicht nur, in neue Berufssparten zu gehen, sondern auch den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Warum? Und wie kann man das unterstützen?

Es gibt verschiedene Zugänge, wie man das auch auf europäischer Ebene unterstützen kann. Das beginnt bei einem erleichterten Zugang zu Finanzierungen, weil Frauen in der Regel eher risikoavers sind. Wenn jemand ein neues großes Gebäude hinstellt, kommt dies meistens von einem Mann – der erst danach überlegt, wie man dies auch finanziert. Eine Unternehmerin hingegen geht Step-by-Step und investiert nur das, was sie auch erwirtschaftet. Darum haben Unternehmen von Frauen in der Regel auch weniger Umsatz und weniger Gewinn – das ist leider statistisch erwiesen. Und Männer sind nach wie vor viel besser, was Netzwerke und Plattformen betrifft. Dass Frauen Frauen unterstützen, haben wir selten – so ehrlich muss man sein. Da gibt es Potential. Und es ist wichtig, derartige Plattformen, wie etwa „Frau in der Wirtschaft“, auch für Geschäfte zu nutzen.