Das „Ewig-Weibliche“ beim Brucknerfest

Das „Ewig-Weibliche“ beim Brucknerfest
Foto: Julia Wesely
Cellistin Julia Hagen
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  • Veröffentlicht: 07.06.2023
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Von 4. September bis 11. Oktober 2023 steht das internationale Brucknerfest ganz im Zeichen der Frauen. Dafür verzichtet das Klassikfestival erstmals auf Stücke seines berühmten Namensgebers und richtet den Fokus stattdessen auf facettenreiche Frauen in der Musik.

1842 wurde Louise Farrenc am Pariser Konservatorium europaweit als erste Frau zur Klavierprofessorin ernannt. Neun Jahre später, 1861, gestattete man es Elfrida Andrée als erste Schwedin, als Organistin tätig zu sein. 1871 erhielt mit Amanda Röntgen-Maier zum ersten Mal eine Künstlerin ein Diplom der Königlichen Musikakademie. 1913 gewann Lili Boulanger erstmals als weibliche Vertreterin den prestigeträchtigen Prix de Rome, ehe Florence Price als erste Afroamerikanerin in den USA eine Karriere als Komponistin verfolgte.

„Frauen fehlt es an der Begabung“

All das sind Errungenschaften, die im 19. sowie Anfang des 20. Jahrhunderts, und damit zur Zeit Anton Bruckners, keinesfalls die Regel waren. Schließlich herrschte lange die Ansicht vor, dass es Frauen an der Begabung zur schöpferischen Kreativität fehle. Nicht zuletzt deshalb war es Musikerinnen oft nur eingeschränkt möglich, ihre Kunst auszuüben. Lediglich Sängerinnen und – deutlich eingeschränkt – Pianistinnen stand die Karriere einer professionellen Musikerin offen.

Die oben ausgewählten Künstlerinnen galten somit als Pionierinnen ihrer Zunft und ihrer Zeit. Trotzdem mussten auch sie, wie viele Schaffende vor und nach ihnen, stets um die ihnen zustehende Anerkennung in der Musikwelt kämpfen. Selbst dann blieben die meisten von ihnen jedoch ein Leben lang zu Unrecht unentdeckt, ungespielt oder ungehört.

Aufbrechen alter Denkweisen

Dass es längst notwendig ist, auf musikalischer Ebene mit den zugrundeliegenden, veralteten Denkweisen und Strukturen aufzuräumen, weiß man auch am Linzer Brucknerhaus. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, fragte sich Intendant Dietmar Kerschbaum. Selbst wenn er heute – nicht zuletzt durch die #metoo-Bewegung – eine Transformation wahrnehme, „ist es immer noch ein Faktum, dass Frauen in der Musikwelt nicht diese hundertprozentige Anerkennung haben“. Kerschbaum entschied sich daher, gemeinsam mit seinem Team für das diesjährige Internationale Brucknerfest einen eigenen Schwerpunkt festzulegen.

Ob als Muse oder Interpretin, als Musikerin, Komponistin, Musikmäzenin, Vorkämpferin oder in Form von Werken, die den Blickwinkel von KomponistInnen auf Frauen offenbaren: Unter dem Motto „Aufbruch. Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.“ dreht sich in diesem Jahr alles um die facettenreichen Frauen in der Musik. „Das Motto steht für das Aufbrechen patriarchaler Strukturen und anderer überkommener Denkmuster, aber auch für den Aufbruch hin zu neuen Ufern, an denen wir solche Denkmuster hoffentlich endgültig hinter uns lassen“, macht Kerschbaum klar. Die HörerInnen erwarten Kompositionen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, die an fünf Spielstätten – der Pfarrkirche Ansfelden, dem Brucknerhaus, dem Alten Dom, dem Mariendom in Linz und der Stiftsbasilika St. Florian – beweisen, was die Grammatik in vielen Sprachen längst erkennen lässt: Die Musik ist weiblich.

Die Männer sind am Zug

Das heißt aber nicht, dass ausschließlich Musikerinnen auftreten werden: Die LinzerInnen nehmen vielmehr auch die Männer in die Pflicht: An ihnen sei es demnach zuallererst, Wiedergutmachung zu leisten „für das geflissentliche Ignorieren eines keineswegs unbedeutsamen Teils der Musikgeschichte, dessen vermeintlicher Makel alleine darin besteht, dass hier das ‚schöne Geschlecht‘ wagte, ins Reservat der schönen Künste einzudringen, das die ‚Herren der Schöpfung‘ für sich gepachtet zu haben glaubten“, heißt es aus dem Brucknerhaus. 

Dementsprechend bringt beispielsweise das Bruckner Orchester unter Chefdirigent Markus Poschner am 19. September im Großen Saal nicht nur Leonard Bernsteins „Symphonic Dances from West Side Story“ auf die Bühne. Ergänzt wird der Abend durch das Werk der bereits zu Beginn erwähnten Florence Price. Als dunkelhäutige Komponistin kämpfte sie zeitlebens gegen rassistische Ressentiments. Im dritten Satz ihrer Sinfonie Nr. 1 in e-Moll griff sie etwa die von westafrikanischen PlantagearbeiterInnen im Protest gegen die Sklaverei entwickelte Form des „Juba Dance“ auf.

Das Violoncello ist (nicht) unweiblich

Im Fokus des Festes stehen aber nicht nur Menschen. Auch Musikinstrumente, die in der Geschichte als „unweiblich“ galten, werden zum Thema. Die beiden international renommierten SolistInnen, die Cellistin Julia Hagen und der Pianist Alexander Ullmann, hinterfragen bei ihrem Konzertabend am 13. September etwa den damals geltenden, männlichen Blickwinkel auf das Violoncello.

Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war es für Frauen nämlich äußerst gewagt, darauf zu spielen. Bevor es üblich wurde, das Instrument mit einem Stachel am Boden abzustützen, musste es zwischen die Beine geklemmt werden. Eine unerhörte Anzüglichkeit – vor allem in den Augen der Männer. Auch später wurden Cellistinnen noch angehalten, das Instrument in einer Art „Damensitz“ mit überschlagenen Beinen oder beiden Knien hinter dem Korpus zu spielen.

Frauen als Inspiration

Ein weiterer Aspekt, der beleuchtet wird, ist die Rolle der Frau als klassische Inspirationsquelle in Gestalt historischer, literarischer oder mythologischer Figuren. Letzteres wird bei der Klassischen Klangwolke 23 am Samstag, 16. September, im Brucknerhaus aufgegriffen. So steht die Darbietung der Akademie für Alte Musik Berlin im Zeichen der griechischen Frauenfiguren Melpomene, Andromeda und Medea.

Im zweiten Teil erhält das gefeierte Orchester besonders prominente Unterstützung. Für Georg Anton Bendas „Medea. Ein mit Musik vermischtes Drama“ wird die deutsche Schauspielerin Meike Droste – bekannt etwa aus „Mord mit Aussicht“ – die Rolle der Sprecherin übernehmen.

Dirigentin führt durch das Abschlusskonzert

Mit weiblichen Vertreterinnen wartet das Brucknerfest nicht zuletzt auch am Dirigentenpodest auf. Beim Abschlusskonzert nimmt die südkoreanische Dirigentin und Cellistin Han-Na Chang das Zepter in die Hand. Mit dem Bruckner Orchester steht je ein Werk Lili Boulangers sowie Ethel Smyths auf dem Programm. Bei letzterer besonders zu erwähnen: Ihre Messe in D-Dur, die in Linz gezeigt wird, wurde auf Veranlassung Königin Victorias in der Royal Albert Hall uraufgeführt. Dass das Stück einen derartigen Erfolg erzielte, sorgte vor allem bei den Kritikern für Ratlosigkeit. So rühmten sie zwar Smyths Talent, relativierten aber sogleich: „Dieses Werk stellt die Komponistin […] mit Leichtigkeit an die Spitze all derer, die ihrem Geschlecht angehören. Was an der Messe besonders auffällt, ist das völlige Fehlen der Elemente, die man gemeinhin mit femininer Musik in Verbindung bringt; sie ist durchweg männlich […].“

Foto: Ole Wuttudal

Ein Motto, das verbindet

Insgesamt stehen heuer mehr als 30 Konzerte am Programm des Brucknerfestes – jedes unter einem eigenen Leitgedanken, jedoch stets durch den Frauenfokus verbunden. Während das Brucknerhaus damit einen Beitrag zum besagten „Aufbruch“ leistet, darf es auf lange Sicht nicht bei reinen Schwerpunkten bleiben. Vielmehr müssen Musikerinnen endlich ihren fixen Platz neben ihren männlichen Kollegen in der Musikwelt erhalten und einnehmen.

Karten für das internationale Brucknerfest von 4. September bis 11. Oktober sind bereits erhältlich. Mehr Informationen sowie das gesamte Programm: