Buchempfehlung: „Schattenriss“

Buchempfehlung: „Schattenriss“
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  • Veröffentlicht: 01.03.2024
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„Schattenriss“ bezeichnet laut Wikipedia den Umriss beziehungsweise die Kontur einer Fläche oder die von einer Kontur umschlossene Fläche. Ja, das passt als Titel, hier ist nämlich viel Licht und viel Schatten.

Irgendwie lügen sie alle

Theresia Prammer lässt Anna-Sophie, ein junges Mädchen, gleich in den ersten beiden Absätzen als Opfer einer Vergewaltigung durch den Schulwart, den neuen, netten, älteren Schulwart, in die Vergangenheit blicken. Das tut sie seit zehn Jahren immer, dabei hat sie eine gesunde Skepsis entwickelt und angefangen zu lügen.

„Die Wahrheit brachte zu oft Probleme. Es fiel ihr leicht. Sie wusste nicht, ob sie einfach ein Talent dafür hatte. Sie konnte so viel und unbeschwert lügen, dass sie sich manchmal fragte, ob vielleicht eine spezielle Veränderung in ihrem Gehirn eingesetzt hatte. Eine Art Angebot und Nachfrage der Evolution.“
Seite 8

Selten stieß ich auf der Suche nach guten Zitaten für eine Rezension so früh auf so klare Worte, auf die knappe Charakterzeichnung einer starken jungen Frau, die gerade mit Julian, einem jungen Mann, der nicht wie die anderen ist, im Prater unterwegs ist. Julian will reden. Abgelenkt durch den nervösen Anruf der besorgten tarotkartenlegenden Mutter übersieht Anna-Sophie Julians Verschwinden. Wer meint, dass nach diesen ersten vier Seiten die Spannung nur noch weiterköcheln würde, hat nicht mit dem Ermittlerduo Toni Lorenz, Schauspielschülerin, und Edgar Brehm, Privatdetektiv, gerechnet. Die beiden stochern in den Lügengeflechten der Familien, erkennen Muster: Wer hat Interesse daran, dass Anna-Sophies schwangere Mutter die Tarotkarten nicht weglegt und der Wahrheit endlich auf die Spur kommt?

Ach ja, in diesem Roman wird auch eine Leiche in der Donau gefunden, ein Priester lässt sich laisieren und die Liebe gewinnt, das gilt für Jung, aber auch sehr stark für Alt.

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Kriminalroman nicht lesen:

bizarre Familien(-verhältnisse), ein ebenso bizarres Ermittlerteam, viele Geheimnisse, Schrecken, Verstrickungen, viel Wahrheit und ebenso viele Lügen, aber auch viel patschertes Leben, viel Unglück und viel Schmerz – und den kann man nur dort aushalten, wo jemand gut davon erzählen kann.

Die Autorin:

1974 in Wien geboren, ist Autorin, Schauspielerin und Regisseurin. Ihr Debütroman „Die Rettung der Regenwürmer“ erschien 2013, es folgten eine steigende Erfolgskurve, Lesungen und Auszeichnungen. 2015 erhielt sie den Leo-Perutz-Preis für „Wiener Totenlieder“.

Theresa Prammer: Schattenriss.
Innsbruck: Haymon Verlag 2023.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at