Buchempfehlung: „Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“

Buchempfehlung: „Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art“
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  • Veröffentlicht: 10.03.2024
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Ein Debütroman über Träume, Lügen, Irrungen und Wirrungen, Sehnsüchte, aufgelöste Wohnungen und Lebensinhalte.

Im Wasser klärt sich alles

Die Mutter liebt Modezeitschriften, träumt sich in deren Luxuswelten und verbietet ihrer Tochter, der Ich-Erzählerin Arielle, daraus Figuren zu schneiden. Diese Mutter ist ordentlich mit sich selbst beschäftigt und der Vater, mit dem Arielle die Wohnungen Verstorbener ausräumt, träumt seinerseits vom Reichwerden. „Sie können alles mitnehmen“, bekommen sie häufig zu hören. Da können auch die Pokale weg, die die Tochter des Verstorbenen gewonnen hat! Wie es ist, im Leben fremder Menschen zu wühlen, will eine Kundin, genauer gesagt die, die einst Pokale gewonnen hat, wissen. Und natürlich fragt auch sie in Richtung Arielle, so, als wäre diese nicht anwesend: „Was stimmt nicht mit ihr?“ Die Diagnose „zu ihr“ lautet „ektodermale Dysplasie“: Sie hat kaum Haare am Kopf, sie kann nie schwitzen und auch ihre Zähne sind nicht „normal“.

Doch nicht nur das Entsorgen bringt Vater und Tochter durch den Alltag, sondern auch das heimliche Ausweiden der gefundenen Tablets und Handys. Hofft der Vater auf den Festplatten, die er mitgehen lässt, Kryptogold zu finden, interessiert sich Arielle für das Leben der Menschen, deren „Existenz“ sie auf den Geräten zu finden glaubt. Und da ist es: Sie entdeckt Pauline und setzt alles daran, Pauline zu werden. 

Die Einsamkeit Arielles, ihres Vaters, der vom großen oder mittelgroßen Geld träumt, ihrer Mutter, die nach den Besuchen bei der Großmutter immer in Saug- und Putzattacken abtaucht – „Mutter Wunden bluteten spät“ – und die ihrer Freundin Yasmin rühren einen an: Alle belügen sich selbst und die anderen auf sehr hilflose, fast brüchige und auch patscherte Weise. Beim Umblättern drückt man ihnen allen die Daumen, sie mögen in dieser doch auch so brüchigen Welt mit ihren brüchigen Scheinexistenzen durchkommen – irgendwie halt.

„Für jedes ihrer beiden Fotos hatte Pauline mehr erhalten, als Yasmin jemals für ein Bild bekommen hatte. Dabei gab es Paulines Kanal noch nicht einmal einen ganzen Tag. ... Mit Fehlern und Unzulänglichkeiten, und mit Dingen, für die sie sich schämte. Pauline dagegen behielt ihr Geheimnis. Und weil nichts an ihr echt war, blieb alles vollkommen. “
Seite 71

Wie sich die reale Welt nach dem Auffliegen von Arielles Betrug weiterdreht, zeigt Kapitel 10. Yasmin hat Arielles Machenschaften aufgedeckt, auf FireFly veröffentlicht und noch ein Kompliment an ihre Freundin in den Beitrag geschrieben, das da lautet: „Weil sie am schönsten ist, wenn sie einfach nur sie selbst ist.“ (S. 268) In der Folge gesteht die Mutter ihre Verzweiflung, gesteht, dass sie ihre Tochter einmal unters Wasser getan habe – kurz nur und wirklich nur einmal. Nun hat Arielle doch einige Fragen an die nie greifbar gewesene Mutter mit ihren Ekzemen, ihrer Not und ihren Träumen.

„Wieder antwortete sie lange nicht. Vom Bett aus blickte sie mich auf eine Weise an, die ich von ihr kannte. Ich hatte diesen Blick immer für Ekel gehalten, aber ich hatte mich geirrt.“

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Debütroman nicht lesen:

Außenseitertum auf höchstem Niveau, Resilienz auf allerhöchstem Niveau, außergewöhnliche Orte, genauer gesagt, die Wohnungen Verstorbener, das Erstellen eines Fake-Accounts, Träume vom Reichwerden und vom Leben im Wasser, das vielleicht besser ist als das Verkaufen von Naturkosmetik, die niemanden schöner macht, nicht einmal in den sozialen Medien.

Matthias Gruber:

Jahrgang 1984, wuchs in Wien und in Salzburg auf, studierte Theaterwissenschaften, hat als Rezeptionist, im Onlinemarketing und in einer Notschlafstelle gearbeitet, hat die Salzburger Stadtmagazine fraeuleinflora.at und QWANT mitbegründet und 2020 den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb „Wortlaut“ gewonnen.

 

Matthias Gruber: Die Einsamkeit der Ersten ihrer Art.
Salzburg: Jung und Jung Verlag 2023.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at