Buchempfehlung: „Aufruf zum Größenwahn“

Buchempfehlung: „Aufruf zum Größenwahn“
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  • Veröffentlicht: 06.06.2024
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Die 1950 geborene Autorin war sich nach ihrem Staatsexamen sicher, dass all die grauenvollen Zustände, die damals in Deutschland noch immer für Frauen herrschten, sie nicht betreffen würden: Kirsten Boie war gut ausgebildet, hatte als Erste in ihrer Familie das Gymnasium besucht, studiert und würde jetzt eine Stelle als Lehrerin antreten.

Ich habe klammheimlich begonnen, Bücher zu schreiben

Nach dem Gespräch mit dem ignoranten Schulleiter hat Kirsten Boie, einmalig in ihrem Leben, eine Panikattacke: Hat sich dieser Mann doch erdreistet, danach zu fragen, ob sie denn vorhätte, Kinder zu bekommen, und das mit eindeutiger Haltung zu ihrer Antwort.

„… eine Frage, die damals vielleicht schon ebenso wenig zulässig war, wie sie es heute ist, aber nicht allzu überraschend, wenn man bedenkt, dass erst zwanzig Jahre vorher das letzte Bundesland den bis dahin gesetzlich festgeschriebenen Lehrerinnenzölibat abgeschafft hatte.“
Seite 20

Für Boie ist seit diesem Gespräch klar, dass die Frage „Mann oder Frau“ für ihren weiteren Lebensweg entscheidend sein würde, schließlich war ihr Ehemann nie nach seinem Kinderwunsch gefragt worden. Als sie mehrere Jahre später ein Kind adoptieren, macht das Jugendamt Kirsten Boie klar, dass es nun wirklich nicht gehe, weiterhin als Lehrerin zu arbeiten. So fügt sie sich, bleibt zuhause, egal, was das Grundgesetz über Gleichstellung sagt, und beginnt, Bücher zu schreiben, mittlerweile sind über 100 von ihr auf dem Markt, die unzähligen Übersetzungen nicht mitgezählt. Und wie hält sie es mit den Zuschreibungen von Bub-Mädchen-Eigenschaften in ihren Romanen für Kinder?

„In den Geschichten vom kleinen Ritter Trenk ist es – wenn man mal genau hinliest! – immer Trenks Freundin Thekla, die, sei es mit der Erbsenschleuder, sei es mit Witz, Probleme löst; interessanterweise scheint das auch die kleinen Jungs nicht zu stören, oder vielleicht bemerken sie es gar nicht.“
Seite 34

Was Sie versäumen, wenn Sie dieses schmale Bändchen nicht lesen:

Anregungen, Angestacheltwerden mit freundlichem Nicken, Erläuterungen, was ein Story-Teller alles bewirken kann, Ermunterungen, Historie der Frauenbewegung und der Hürden, die Frauen seit Jahrzehnten in den Weg gestellt werden.

Kirsten Boie:

1950 in Hamburg geboren, erhielt unzählige Auszeichnungen, für ihr Gesamtwerk etwa den Deutschen Jugendliteraturpreis. Seit 2019 ist sie Ehrenbürgerin Hamburgs. Ihre Kinder- und Jugendbücher sind engagiert, detailliert und sprachlich auf Höchstniveau, gesellschaftspolitisch sowie humorvoll.

Kirsten Boie:
Aufruf zum Größenwahn. Warum Frauen den Mut haben sollten, alles zu wollen.
Zürich: Arche 2024.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at