Über Küchenmeetings, digitale Familienkalender und mögliche Erleichterung im stressigen Familienalltag.
Julia Langeneder: Was versteht man unter dem Begriff „Mental Load“, der jetzt in aller Munde ist?
Nathalie Klüver: Man versteht darunter die mentale Belastung, immer verfügbar und für alles zuständig zu sein. Im Hinterkopf rattern ständig To-do-Listen – das kennen wahrscheinlich vor allem Mütter. Es ist wie beim Computer: Wenn zu viel Arbeitsspeicher belegt ist, funktioniert er nicht mehr richtig. Man ist gereizt, schläft schlecht, hat körperliche Symptome.
Ist das so, dass der „Mental Load“ vor allem Frauen betrifft, Herr Grüling?
Birk Grüling: Ja, zu 99 Prozent sind eher Mütter betroffen. Die Mutter denkt an alles und für alle mit. Das ist anstrengend. Die Väter werden eher zu Gehilfen, denen man Sachen hinwirft, wie: „Kauf doch mal das ein …!“ Für die Väter ist das bequem.
Klüver: „Mein Mann hilft mir im Haushalt“, diesen Satz finde ich furchtbar, er setzt mich in die Position: Ich bin die Verantwortliche und delegiere. Der volle Arbeitsspeicher geht dadurch nicht weg, wenn ich ständig mitdenke und überprüfe, ob die Aufgabe richtig erledigt wurde. Um wirklich entlastet zu sein, müsste ich Bereiche komplett abgeben: mein Verantwortungsbereich – dein Verantwortungsbereich. Das wird oft falsch verstanden, und ich persönlich nehme mich davon nicht aus.
Warum fällt es Frauen so schwer, Verantwortung abzugeben?
Grüling: Wir haben ein Problem mit unserem Mutterbild. Die Männer – und Frauen – meiner Generation bekamen vermittelt: Zu Hause ist eine Mama, die alles macht. Das projizieren wir auch auf unsere Partnerin. Und die Frauen haben ein Problem damit, sich von diesem überhöhten Mutterbild zu lösen.
Klüver: 80 Prozent der Eltern sagen, bevor sie Kinder bekommen: „Wir werden alles gleichberechtigt aufteilen“, aber tatsächlich tut das nur ein Bruchteil der Paare. Das liegt auch an dem Vakuum, in das man als Frau in der Elternzeit hineingleitet. Der Mann geht normal weiterarbeiten, die Frau ist zu Hause und sucht sich ein neues Projekt, die Mutterrolle, und da soll alles perfekt sein: das Zuhause, das Kind. Für die Männer ist das bequem. Es müssen beide etwas tun: Männer müssen aus der Bequemlichkeit herauskommen und mehr Aufgaben einfordern, Frauen müssen lernen, Aufgabenbereiche abzugeben.
Grüling: Frauen wollen heute mehr beruflich arbeiten, und das ist auch gut; aber dadurch ist eine zusätzliche Baustelle hinzugekommen, die von den Vätern nicht ausgeglichen wird. Frauen kümmern sich weiter um den Haushalt, die Kinder und arbeiten 20 bis 30 Stunden. Wenn wir nicht wollen, dass eine ganze Generation von Frauen völlig ausbrennt, geht das nur über Gleichberechtigung.
Julia Langeneder,
Familienredakteurin und Mutter von zwei Kindern, lädt jeden Monat zum Familienrat ein.
Gleichberechtigte Elternschaft wollen viele – aber wie kann sie im Alltag umgesetzt werden?
Grüling: Der erste Schritt zur Gleichberechtigung ist Wissen. Männer sollten während der Zeit des Wochenbetts zu Hause sein. Erstens, weil die Frau nicht so fit ist und es jemanden braucht, der den Haushalt macht. Und zweitens, weil man in dieser Zeit viel Wissen sammelt, die Hebamme kommt, man fährt zum Kinderarzt und so weiter. Wichtig wäre auch, dass im Geburtsvorbereitungskurs ein Vater aufsteht und sagt: „So, Jungs, ihr müsst zu Hause bleiben, und das macht ihr so und so …“ Und dann ist natürlich auch die Politik gefragt: Wer Elternschaft gleichberechtigt aufteilt, müsste mehr Geld bekommen als derjenige, der es nicht tut.
Klüver: Es gibt nicht nur den einen richtigen Weg. Wichtig ist, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen und darüber zu sprechen: „Welche Aufgaben stehen an, und wer ist wofür zuständig?“
Wie sind die Aufgaben im Hause Grüling verteilt?
Grüling: Ich kaufe ein, koche und koordiniere die Arzttermine, weil ich flexiblere Arbeitszeiten habe als meine Frau. Wichtig ist dabei die Kommunikation. Ich erzähle, was beim Kinderarzt los war, und so können wir gut tauschen. Laura Fröhlich empfiehlt in ihrem Buch „Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles“, einmal in der Woche ein Küchenmeeting zu veranstalten, in dem die Aufgaben besprochen werden.
Machen Sie das?
Grüling: Nicht in der Küche, aber wir stimmen uns immer wieder ab; wir führen auch einen digitalen Familienkalender, damit jeder weiß, welche Termine anstehen.
Frau Klüver, wie kann man als Alleinerzieherin den „Mental Load“ verringern?
Klüver: Ich bin seit einem halben Jahr alleinerziehend und kann nur jedes zweite Wochenende Aufgaben abgeben. Wichtig ist, dass man Prioritäten setzt und sagt: „Dieser oder jener Zuständigkeitsbereich ist mir nicht so wichtig.“ Wir können nicht immer 100 Prozent geben, 80 Prozent reichen auch. Ich habe den Bereich Basteln an Kindergarten und Schule abgegeben. Die Kinder merken ja auch, ob der Mama etwas Spaß macht oder nicht.
Soll man auch die Kinder mit einbinden?
Klüver: Ab einem bestimmten Alter haben auch die Kinder Verantwortungsbereiche, um die sie sich selbst kümmern, etwa, dass sie das dreckige Gewand in die Wäsche geben. Kinder wollen ja auch Verantwortung übernehmen.
Grüling: Man sollte sich auch externe Unterstützung suchen. Niemandem bringt es was, wenn die Mutter ausgebrannt ist. Und noch ein Hinweis für die Väter: Man sollte es als Geschenk sehen, dass man mit Kindern Zeit verbringt, und auch mutig sein, das einzufordern: Die Zeit mit den Kindern lässt sich nicht nachholen.
Julias Gäste
Birk Grüling,
freier Journalist und Autor („Eltern als Team“, Kösel Verlag),
ein Sohn (4,5 Jahre)
Nathalie Klüver,
Autorin („Das Kind wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“, Trias Verlag), Journalistin und Bloggerin (ganznormalemama.com)
drei Kinder (3, 7 und 10 Jahre)
Sie haben eine Frage rund um Familie, Partnerschaft, Kindererziehung?
Dann schreiben Sie an
julia.langeneder@welt-der-frauen.at
Fotos: privat
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