Klimakrise, Kriegsereignisse, Zukunft der Kinder: Eltern plagen heute viele Ängste. Was man dagegen tun kann.
Frau Teml-Jetter, was sind die häufigsten Ängste der Eltern in Ihrer Beratung?
Sandra Teml-Jetter: Die häufigste Angst ist: Bin ich als Elternteil gut genug? Es sind oft keine konkreten Themen, die anstehen, eher herrscht eine diffuse Angst, etwas falsch zu machen.
Machen sich Eltern heute zu viele Sorgen?
Teml-Jetter: Ängste waren immer da, sie haben sich nur verschoben. Ich bin mit ängstlichen Großeltern aufgewachsen, die vom Krieg traumatisiert waren. Damals standen eher materieller Mangel und Not im Vordergrund. Heute geht es um die Kinder, die eine hohe Bedeutung haben. Angst ist ja grundsätzlich gut. Sie ist sinnvoll und überlebensnotwendig. Sie kann aber auch einschränkend sein und uns krank machen. In meiner Beratung schauen wir uns die Angst genauer an: Ist die Angst jetzt gerade, in diesem Moment, notwendig und real?
Was ist eine reale Angst der Eltern?
Teml-Jetter: Der Straßenverkehr etwa. Da muss ich auf das Kind achten, ihm das richtige Verhalten beibringen. Oder wenn ich Sorge habe, dass mein Kind krank ist. Dann gehe ich zum Arzt und lasse das abklären.
Und was wären denn irreale Ängste?
Teml-Jetter: Das sind Geschichten, die ich mir im Kopf erzähle, innere Bilder, die mich in Angst versetzen.
Jeannine Mik: Es geht darum zu unterscheiden: Steht der Säbelzahntiger jetzt gerade wirklich vor mir oder stelle ich mir die Gefahr nur vor?
Julia Langeneder, Familienredakteurin, lädt jeden Monat zum Familienrat ein.
Frau Mik, Sie haben eigene Erfahrungen mit Angstzuständen – Sie litten unter Panikattacken. Wie hat es begonnen?
Mik: Ich spürte schon länger ein Stechen in der Brust, ignorierte es aber lange, denn ich war ein „People Pleaser“, immer lächelnd, wollte es allen recht machen. Zuerst weiß man bei einer solchen Attacke nicht, was los ist: Zittern am ganzen Körper, Übelkeit, das Gefühl zu ersticken. Ich dachte, ich wäre sterbenskrank. Einmal kam eine Notärztin zu mir nach Hause. Sie sagte: „Sie haben eine Panikattacke.“ Ohne diese Ärztin hätte ich vermutlich noch viele Jahre lang nicht gewusst, was los ist. Mir war klar, dass ich mit diesen extremen Zuständen nicht die Mutter sein konnte, die mein Kind brauchte. Die Panikattacken waren für mich ein Wegweiser, etwas zu verändern, und so habe ich mich von einer Psychologin und von dir, Sandra, begleiten lassen. Dabei haben wir uns auch das System Ursprungsfamilie angeschaut: Wo sind Beziehungsdynamiken, die mir nicht guttun?
Angst hat oft tiefsitzende Gründe in der Vergangenheit. Ist es typisch, dass Ängste mit dem Elternwerden hervorkommen oder sich verstärken?
Teml-Jetter: Ja, denn es geht sich dann einfach nicht mehr alles aus. Angst hat vielfältige Ursachen. Oft geht es dabei um das Thema „Entelterung“.
Was verstehen Sie unter „Entelterung“?
Teml-Jetter: Ich nenne „Entelterung“ eine Loslösung aus hinderlichen Mustern. Das ist nicht gegen die Eltern gerichtet. Es bedeutet Aussteigen aus ungesunden Verstrickungen und Verantwortungen, die man als erwachsener Sohn oder Tochter den Eltern gegenüber fühlt. Jeannine, du hast vorher das Wort „ersticken“ erwähnt – das trifft es sehr gut. Wenn ich die Metapher mit der Sauerstoffmaske im Flugzeug hernehme, dann geht es darum, sich selbst zuerst die Sauerstoffmaske aufzusetzen, bevor man anderen helfen kann. Oft halten Erwachsene aber zuerst ihren Eltern und ihren eigenen Kindern die Maske hin. Die notwendige Energie geht ins Leere und letztlich fehlt die Ressource für das Kind, für die Paarbeziehung, für sich selbst. Wir vergessen oft, dass unsere Lieben ihre eigene Sauerstoffmaske haben und es wichtig ist, dass sie den Umgang damit lernen. Aus diesen Beziehungsdynamiken auszusteigen, ist ein schwieriger Schritt.
Wie gelingt das?
Teml-Jetter: Sich dieser Dynamiken bewusst zu werden, ist der wichtige erste Schritt. In einem zweiten Schritt geht es darum, sich zu fragen: Was tut dir schon lange nicht gut, hast es aber ignoriert?
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Teml-Jetter: Etwa, dass man die Eltern zu Weihnachten nicht besucht, weil man die Kinder nicht mehr zusammenpacken und eine weite Strecke mit dem Auto fahren, sondern einfach zuhause feiern möchte. Das ist nicht gegen die Eltern gerichtet, die kann man gerne zu sich einladen.
Wie kommuniziere ich das? Die Eltern werden sicher enttäuscht sein.
Teml-Jetter: Ja, aber man muss sich trauen, zu enttäuschen. Man tut das auch für sich selbst.
Wie formuliert man diesen Wunsch?
Mik: Etwa so: „Liebe Eltern, wir haben entschieden, heuer zuhause zu feiern. Ihr seid uns herzlich willkommen!“
So kurz und knapp?
Teml-Jetter: Ja, das ist in Ordnung. Man muss das natürlich individuell entscheiden und damit rechnen, dass die Eltern enttäuscht sein werden. Aber ich kann ihnen die Wut und die Trauer zumuten, sie sind erwachsene Menschen, und sie können damit umgehen.
Mik: Und es kann dann etwas Neues daraus entstehen. Zum Beispiel, dass wir am 25. Dezember vorbeikommen.
Julias Gäste
Ihre Panikattacken sind jetzt vorbei?
Mik: Ja. Damit es mir dauerhaft gut geht, arbeite ich auch viel über den Körper. Und ich habe auch beruflich auf Körperarbeit meinen Fokus gelegt.
Was kann ich als Soforthilfe tun, wenn ich merke, dass die Angst in mir aufsteigt?
Mik: Zum Beispiel drei Minuten hüpfen, um den Körper wahrzunehmen und sich im Hier und Jetzt zu verankern. Man kann auch hinspüren: Wo nehme ich die Angst am stärksten wahr? Dann legt man die Hand auf diese Körperstelle: Fühlt sich das besser oder schlechter an? Wenn das Gefühl bei Gefahrenstufe sieben ist: Was kann ich tun, damit es auf sechs herunter geht? Bewusstes Hineingehen in unangenehme Zustände kann Ängste lösen.
Teml-Jetter: Wenn ich die Angst wahrnehme, bin ich schon den halben Weg gegangen. Wenn es uns gelingt, einen Umgang damit zu finden, brauchen wir keine Angst mehr vor der Angst zu haben. Ich möchte noch ergänzen, dass man bei massiven Ängsten unbedingt psychologische oder auch psychiatrische Begleitung in Anspruch nehmen möge. Manchmal sind auch Medikamente nötig – sie können den Boden dafür schaffen, wieder handlungsfähig zu werden.
Es lohnt sich also, sich mit der Angst auseinanderzusetzen?
Mik: Es gibt diesen schönen Satz: „Alles, was du willst, findest du auf der anderen Seite der Angst.“ Die Angst hält uns klein und im Gewohnten, sodass wir niemals herausfinden: Wer sind wir eigentlich? Wie wollen wir lieben und leben?
Teml-Jetter: Wer ständig Angst hat, beraubt nicht nur sich selbst in seiner lebensgestalterischen Kreativität, sondern begrenzt auch sein Kind: „Du darfst nicht auf den Baum klettern, weil ich mich fürchte.“
Was kann ich als Mama oder Papa tun, um meine Angst nicht auf mein Kind zu übertragen?
Teml-Jetter: Als mein Kind vom Zehn-Meter-Turm springen wollte, habe ich gesagt: „Tut mir leid, so weit bin ich noch nicht. Geh bitte mit dem Papa ins Strandbad.“ Ich möchte zum Zusammenspiel einladen: Was können wir beide tun, um das möglich zu machen? Wir müssen unsere Kinder begrenzen, wir müssen ihnen aber auch gleichzeitig Raum zur Entwicklung geben. Elternschaft bedeutet lebenslanges Wachstum. Wo möchte ich an meinen Grenzen arbeiten? Es gibt aber auch rote Linien, und an dieser Stelle möchte ich auch zu Grenzsetzungen ermutigen: „Nein, in meinem Haus wird keine Party gefeiert.“ Ich habe einen Garten und dort kann gefeiert werden. Man muss sich dessen bewusst werden: Wo will ich über meine Begrenzungen hinauswachsen und wo sage ich Nein?
Buchtipp:
Jeannine Mik, Sandra Teml-Jetter
Keine Angst, Mama!
Kösel Verlag
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